Zeitloses Zeichen

Bistum und Diözesanrat machen Aachener Friedenskreuz beim Katholikentag in Münster neu zum Thema

Friedenskreuz Nachricht (c) privat
Friedenskreuz Nachricht
Datum:
Di. 10. Apr. 2018
Von:
Thomas Hohenschue
Ein grenzenloses Trauma: der Zweite Weltkrieg. 1945 lag Europa in Trümmern. Krefelder Kriegsheimkehrer hatten die Idee, ein Zeichen der Sühne und ihres Willens zur Versöhnung zu zimmern. 1947 nahm der Gedanke Gestalt an – in Form des Aachener Friedenskreuzes.
Friedenskreuz (c) KiZ-Archiv
Friedenskreuz

Seitdem hat es Hunderttausende Menschen in- und außerhalb Deutschlands mit seiner Botschaft erreicht. Beim Katholikentag in Münster rückt es im Mai ein weiteres, spätes Mal in den Blick – mit ungebrochener Aktualität. „Suche Frieden“ lautet das Motto des Tages. Die Veranstalter wollen mit diesem Psalmwort das Zeichen setzen, dass Christen und Kirche zum Frieden berufen sind. Da ist es nur folgerichtig, dass das Aachener Friedenskreuz mit seiner wuchtigen Kraft in Münster dabei ist. Nicht zum ersten Mal zeigt es im Getümmel der Katholiken das Gesicht des leidenden Christus, eindrucksvoll gestaltet von Anton Wendling. 1962 war das Friedenskreuz in Hannover, 1980 in Berlin und sechs Jahre später in Aachen, sowieso.

In den letzten Jahren ist es ruhig um das Kreuz geworden. Das ist nicht ungewöhnlich, solche Zeiten kennt das Kreuz aus seinen sieben Jahrzehnten ebenso wie vitale Phasen, in denen es von vielen Menschen mit großer, ernsthafter Begeisterung getragen wurde. Genau diese wechselvolle Geschichte ist das Thema, mit dem das Bistum Aachen seinen diesjährigen Stand auf der Kirchenmeile des Katholikentages gestaltet. Denn der Blick zurück erzählt etwas davon, wie Christen in Deutschland in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg Friede immer wieder neu gesucht und verstanden haben. Nur noch wenige Menschen kennen das Kreuz aus jenen ersten Jahren, als es um die grenzenlose Gewalt von Krieg, Verfolgung, Vernichtung ging. Sühnewallfahrten führten quer durch die Diözese, in Nachbarbistümer, durch Deutschland, auf dem Weg zum Heiligen Vater in Rom. Die Chroniken berichten: Papst Pius XII. gab 1950 den Aachener Christen den Auftrag mit, das Kreuz überall dorthin zu tragen, wo der Frieden in Gefahr ist.

 

Verständigung mit den Nachbarn fördern

Diese Aufforderung bestärkte den Gründungsgedanken aus der katholischen Männerbewegung, Versöhnung unter ehemals verfeindeten Nachbarn zu stiften. Und sie legte zugleich das Fundament für ein erweitertes Verständnis von Frieden, das sich in späteren Jahrzehnten Bahn brach. Träger dessen war zunehmend die christliche Friedensbewegung Pax Christi, deren Entwicklung immer wieder mit dem Aachener Friedenskreuz verflochten war. Das Kreuz war Zeuge und Zeichen der allseitigen Bemühungen um deutsch-französische Verständigung, etwa in Lourdes. Die niederländischen und belgischen Nachbarregionen folgten. Später war das Kreuz auch als Botschafter des Aussöhnungswillens gegenüber der polnischen Bevölkerung unterwegs. Der Zuspruch war immens in den ersten Jahren. Die Chroniken berichten von 200 000 katholischen Männern, die mit dem Kreuz allein 1947 im Bistum Aachen umhergezogen sind, in seinem Zeichen beteten, Gottesdienste feierten, Prozessionen abhielten. Die 150 Kilogramm schwere Holzkonstruktion ist so ausgelegt, dass sie sich von sechs Personen tragen lässt. Die Pilgergruppen übergaben das Kreuz an den Pfarrgrenzen den Nachbarn, so zog es weiter. Bis spät in die 50er Jahre hinein versammelten sich aus heutiger Sicht unfassbar viele Gläubige um das Kreuz. Historische Fotos lassen eher an Demonstrationszüge denken als an religiöse Ereignisse.

Anfang der 60er wurde es ruhig um das Zeichen. Rituelle Ereignisse wie die Bußgänge Aachener Männer brachen ab. Jubiläen und weitere einzelne Einsätze unterbrachen in der Folge diese Stille. Es musste sich erst gesamtgesellschaftlich etwas tun, damit das Friedenskreuz aus der Versenkung auftauchte. Anfang der 80er Jahre war es soweit: Angesichts der Aufrüstung im Kalten Krieg, der wachsenden Umweltzerstörung und der globalen Ungerechtigkeit engagierten sich immer mehr Menschen für andere Verhältnisse. Mitten drin in diesen neuen sozialen Bewegungen mischten Christen mit. Pax Christi Deutschland erlebte einen Aufschwung – und mit dem Verband auch das Aachener Friedenskreuz. Es war die Zeit, in der um das richtige Verständnis von Frieden gerungen wurde. Das Kreuz zog bei Bistumswallfahrten vor Kasernen, Raketenlager, Atomkraftwerke, Bergbaubetriebe. Fast überall öffnete dabei der Auftrag des Papstes die Tore. Die Skepsis gegenüber Rüstungsgegnern, Umweltaktivisten, Eine-Welt-Engagierten war in den frühen 80ern groß, auch in Kirchengemeinden. Aber sowohl die Bistumsleitung wie auch, bis auf wenige Ausnahmen, die örtlichen Verantwortlichen ließen sich darauf ein. Schon das war Friedensarbeit: sich auf eine gemeinsame Haltung zu verständigen, dass Frieden vor der eigenen Haustür anfängt, mit der eigenen Art zu leben, zu wirtschaften, internationale Beziehungen zu gestalten.

 

Frieden umfassend verstehen und suchen

In diesem Sinne umfassend Frieden zu suchen, ist auch Anliegen des konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Die Kirchen machten sich ebenfalls in den 80ern auf diesen Weg, der die Grenzen der Konfessionen überwinden soll in der christlichen Weltverantwortung. So verstärkte sich die ökumenische Dimension, die das Aachener Friedenskreuz seit den 60ern dank punktueller Teilhabe evangelischer Christen gewann, um ein Vielfaches. Höhepunkt war eine Schiffsreise: Das Kreuz fuhr gegen den Strom den Rhein aufwärts, von Rotterdam, wo Deutsche im Weltkrieg Tod und Zerstörung hinterließen, hinauf nach Basel, zur Europäischen Ökumenischen Versammlung, die einen umfassenden Frieden suchte und ihm nachjagte. Das war 1989. Danach wurde es erneut ruhig um das Kreuz, mit Unterbrechungen etwa durch Wallfahrten oder Mitnahmen zu Versammlungen. Dass das Kreuz noch einmal so im Mittelpunkt einer größeren Öffentlichkeit steht, wie es in Münster der Fall sein wird, verbindet sich mit einer Hoffnung. Die Vorbereitungsgruppe aus Bischöflichem Generalvikariat Aachen und Diöze-sanrat der Katholiken hat sich intensiv mit der Geschichte und dem Auftrag des Kreuzes auseinandergesetzt. Und sieht vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen Staaten und Bevölkerungsgruppen, eines sich zuspitzenden Klimawandels und einer immer größeren Kluft zwischen arm und reich eine Zeit nahen, wo erneut der Frieden in Gefahr ist. Sie denken an den Auftrag von Papst Pius XII., das Friedenskreuz an die Orte zu tragen, wo der Unfriede greifbar ist. Die Frage ist und bleibt wie zu aller Zeit: Wer nimmt das Kreuz auf?

Friedenskreuz Rhein (c) privat