Worüber wir heute nachdenken müssen

Sozial engagierte Katholiken tauschen sich über „Industrie 4.0“ aus

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Datum:
Di. 27. Okt. 2015
Von:
Thomas Hohenschue
Die Krefelder Straße in Aachen ist keine Schönheit. Aber sie beherbergt wichtige Adressen, alle auf derselben Seite. Der Justizvollzugsanstalt folgen stadteinwärts das Reitstadion und der neue Tivoli.

Und dann kommt noch die Firma Addag – das ist etwas ganz anderes, aber ebenfalls Interessantes. Wer durch die Glastür tritt, hinter der früher in einem großzügigen Schauraum hochwertige Möbel zu besichtigen waren, bleibt einen Moment fasziniert stehen. Sechs großformatige Bildschirme bilden eine flimmernde Wand, zeigen in Echtzeit Informationen, welche für das Systemhaus und seine Mitarbeiter wichtig sind. Wo treten momentan Probleme in betreuten Netzwerken auf? Wo sind gerade die Techniker im Einsatz? Was sind aktuelle Aufgaben und E-Mails? Und als ständige Mahnung noch eine Simulation, wo gerade in der Welt große Hackerattacken auf Rechenzentren laufen. Diese Situation in einem modernen Zweckbau an der Aachener Sportmeile spiegelt im Kleinen wider, was gerade im Großen läuft.

Wirtschaft und Gesellschaft unterliegen einem spürbaren Wandel. Das Internet baut alles um. Insassen der Justizvollzugsanstalt an der Krefelder Straße berichten ihre Eindrücke vom ersten Freigang nach Jahren: Sie wollten in der Stadt Menschen in die Augen schauen und sehen nur noch Leute, die auf kleine Bildschirme starren und tippen. Ralf Schadowski, Geschäftsführer von Addag, hat naturgemäß einen anderen Blick auf die Materie als seine Nachbarn, aber schaut auch einigermaßen befremdet auf die Entwicklung. Sein Thema: Die Selbstbestimmung der Menschen über ihre persönlichen Daten geht verloren. Internationale Konzerne zapfen die Informationen ebenso an wie Geheimdienste und Kriminelle. Und was Schadowski besonders plagt, ist die Unbedarftheit, mit der viele Bürger mit dem Thema umgehen. Was die Bildschirmwand im Eingang seines Systemhauses auch noch zeigt: Was erfinderische Menschen „Industrie 4.0“ getauft haben, ist längst in der Arbeitswelt angekommen. Immer alles im Blick haben, optimal alles miteinander vernetzen, komfortabel und unaufwendig, systematisch und effektiv – die Rationalisierung strebt eine neue Stufe an.

 

Es geht um einen verantwortlichen Umgang mit der neuen Technik

Diese Entwicklung geht alle an: die Familien, in deren Leben die vielen digitalen Dienste längst eine wichtige Rolle eingenommen haben. Die Betriebe, bei denen sich Strukturen und Abläufe ändern und nicht wenige Beschäftigte fachlich abgehängt werden. Und auch die Kirchen: Die Entwicklung berührt ethische Aspekte und bahnt ungewöhnliche Begegnungen an. Wie in einem Konferenzraum über den flimmernden Bildschirmen der Addag. Schadowski hat nicht nur seine Freunde vom Bund katholischer Unternehmen zu Gast, sondern auch Mitchristen, die sich der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung und dem Sachausschuss „Kirche und Arbeiterschaft“ des örtlichen Katholikenrates zugehörig fühlen. Sie alle eint die katholische Soziallehre und in dieser Orientierung suchen sie an einem Abend nach neuen Standpunkten. Verteufeln will die technologische Entwicklung niemand, sondern es geht um Antworten auf die Herausforderungen, die sich damit verbinden. Wie die Menschen mitnehmen in die digitale Zeit, wie für Weiterbildung und Medienkompetenz sorgen, wie die Verheißungen wahrmachen, die „Industrie 4.0“ in sich birgt? Lässt sich die mächtige neue Technik gar nutzen, um Menschheitsprobleme wie den Klimawandel zu lösen? So manche Positionen bleiben einfach nebeneinander stehen. Mehr kann ein einzelner Austausch nicht leisten. Dialog braucht Zeit. Weitere Gespräche machen vielleicht möglich, dass sich etwas ändert: jeder in seinem Verantwortungsbereich, aber vielleicht auch gemeinsam in der Gesellschaft. In Echtzeit, ganz wie das digitale Vorbild. Wie wäre es also vielleicht mit einer „katholischen Soziallehre 4.0“?