Junge Leute mit Power und Potenzial

Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Aachen

29_Unbegleitete Flüchtlinge (c) Paul Heesel
29_Unbegleitete Flüchtlinge
Datum:
Mo. 21. Juli 2014
Von:
Paul Heesel
Wer wagt es, sich wirklich auf die jungen Menschen einzulassen, die vor Krieg, Gewalt, Not und Elend fliehen und ihr Glück in Deutschland suchen?

Stefan Küpper ist so einer, der das wagt. Er ist Direktor des „Zentrums für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe – Maria im Tann“, das sich in Aachen um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmert. Wie es diesen jungen Menschen in Deutschland ergeht, wurde kürzlich bei der Veranstaltung „Podium im Gespräch – Gelobtes Land für Flüchtlingskinder?“ diskutiert. „Ihr Elend kommt an mich ran, wenn ich wirkliche Nähe zulasse“, so Küpper. Und das tun er und sein Team in Maria im Tann und dafür warb Küpper im gut besuchten Jakobushaus. „Wenn die vor uns stehen, überlegen wir einfach: Was ist wichtig für die? Wie kommen die durch all die traumatischen Erfahrungen wieder an sich selbst heran?“

Damit liegt er ganz auf der Linie von Papst Franziskus, der bei seinem Besuch der Flüchtlinge auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa im Juli 2013 die Christen in die Pflicht nahm: „Die Kirche ist euch nahe in eurer Suche nach einem würdevollen Leben für euch und eure Familien.“ Die Flüchtlingskinder, etwa 4000 kommen jährlich nach Deutschland, wurden im Jakobushaus aus verschiedenen Perspektiven in den Blick genommen. Neben Stefan Küpper steuerten Markus Offner, Grundsatzreferent beim Kindermissionswerk, und Marco Moerschbacher von Missio Aachen Erfahrungen aus Entwicklungsprojekten, insbesondere aus Bildungsprojekten und aus dem Flüchtlingslager Dzaleka in Malawi bei. Norbert Frieters-Reermann stellte eine Studie zur Bildungssituation minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland vor, die die beiden Hilfswerke in Auftrag gegeben hatten. Die Aachener Landtagsabgeordnete Daniela Jansen, die sich in ihrer politischen Arbeit mit dem Thema beschäftigt, stellte sich ebenfalls den Fragen des Publikums. Manfred Körber, Leiter des Fachbereichs Weltkirche im Bistum Aachen, moderierte den Abend.

Warum die Hilfswerke sich der Flüchlingskinder mit einer Studie annehmen, erläuterte Markus Offner. Globale Probleme, so Offner, seien nicht mehr nach Erster und Dritter Welt, nach Nord und Süd zu trennen, genauso wie unsere orts- und weltkirchlichen Antwortversuche darauf vielfältig miteinander verwoben seien. Bildung sei ein Menschenrecht und der Schlüssel für eine bessere Zukunft der von Flucht betroffenen Menschen. Man müsse Flüchtlinge auch hier in Deutschland als „Mitmenschen mit Begabungen und Potenzialen“ sehen und nicht „als mehr oder weniger lästige Bittsteller.“ Frieters-Reermann unterstrich ebenfalls, dass Menschen, die aus Krisengebieten nach Deutschland kommen, mit ihren vielfältigen Ressourcen wahrgenommen werden sollten. „Dadurch würde unser gesellschaftliches Zusammenleben menschlicher, gerechter und zukunftsfähiger.“ Konkret forderte Frieters-Reermann eine Vereinfachung des Asyl- und Klärungsverfahrens, eine humane Bildungspolitik für Flüchtlinge und eine umgehende Durchsetzung aller von Deutschland unterzeichneten internationalen Abkommen, die minderjährige Flüchtlinge betreffen.

 

Momentan werden in Aachen 330 Kinder und Jugendliche betreut

Rechtlich abgesichert werden sollten auch Familienzusammenführungen und eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung. „Massiv einschränkende und gewaltsame Verfahren“ wie die Abschiebehaft sollten nicht mehr angewendet werden. Insgesamt seien die rechtlichen Regelungen für jugendliche Flüchtlinge in Deutschland so komplex, dass sie ihre gezielte Unterstützung deutlich erschwerten. In der Grenzstadt Aachen landen besonders viele jugendliche Flüchtlinge. Die meisten fliehen aus aktuellen Kriegs- und Krisengebieten. Sie kommen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien oder Pakistan, viele aus Somalia, Guinea und Eritrea. Sie werden von der Bundespolizei an der Grenze aufgegriffen und vor Ort untergebracht, zum Beispiel in Maria im Tann. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. In diesem Jahr erreichen monatlich rund 40 bis 50 jugendliche Flüchtlinge Aachen. Die SPD-Landtagsabgeordnete Daniela Jansen bescheinigte, dass die Stadt viel für die Jugendlichen tue. Rund 330 werden zur Zeit hier betreut. Sie werden zunächst für ein- bis eineinhalb Jahren in Aachener Schulen in internationalen Förderklassen untergebracht und lernen intensiv die deutsche Sprache.

Später können sie schrittweise in die Regelklassen der Schulen wechseln. Ziel ist, ihnen einen guten Schulabschluss zu ermöglichen und eine weitere Ausbildung vorzubereiten. Die Kapazitäten der internationalen Förderklassen reichen bisher allerdings nicht, um alle Jugendlichen unterzubringen. Das Leben in Kriegs- und Krisengebieten, die gefährliche Flucht und die Trennung von ihren Familien und Freunden haben die Jugendlichen innerlich oft tief verletzt. Und trotzdem, Stefan Küpper ist begeistert: „Es ist einfach toll, mit denen zu arbeiten. Was die für eine Power haben!“ Viele junge Flüchtlinge schaffen es so auch, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Wenn sie gut betreut werden, eine Perspektive sehen, ihr Aufenthalt gesichert ist und sie lernen können, streben sie ganz klassische Ziele an: Einen Beruf lernen, eine Familie gründen und in Sicherheit leben. Im Umgang mit diesen Menschen, so Stefan Küpper, könne Aachen zeigen, was es für eine weltoffene Stadt ist. „Was die für ein Kapital für uns sind. Ein echter Gewinn.“ Eine ganz praktische Bitte hat er auch: „Wir brauchen dringend Wohnungen. Sie kriegen tolle Mieter!“